Wikipedia:PR-Welt040805

DIE WELT 04.08.05

Weltkongreß der Alleswisser Die globale Wikipedia-Gemeinde feiert ihr kostenloses Internet-Lexikon in Frankfurt/Main von Constantin Gillies

Berlin - Es klingt nach einem typischen Du-ey-Projekt, so wie in "Du, ey, wir müssen doch den Welthunger bekämpfen". Im Fall von Wikipedia lautete der Plan "Laß uns das Wissen der Welt im Internet irgendwie zusammentragen". Initiiert wurde die Aktion am 15. Januar 2001 von zwei Amerikanern. Sie wollten ein Lexikon im Netz zusammenstellen, ganz ohne Geld, ganz basisdemokratisch. Jedermann sollte mitschreiben und verbessern können, ohne Honorar. Klassische Du-ey-Flausen eben. Doch in einem Punkt unterscheidet sich Wikipedia von anderen Weltverbesserungsplänen: Der Traum wurde Realität. 1,8 Millionen Artikel in 100 Sprachen zählt die Enzyklopädie mittlerweile. Wikipedia erklärt die Welt fast lückenlos.


Heute findet in Frankfurt der erste Kongreß der sogenannten Wikipedianer statt. Viele Hobbyautoren werden sich dabei zum ersten Mal persönlich treffen und auf die Schulter klopfen. Zu Recht, denn ihr Lexikon ist eines der wichtigsten Internet-Projekte überhaupt und obendrein ein unerläßliches Werkzeug aller Copy-&-Paste-Ritter: Kaum eine Hausarbeit, kein Referat könnte heute ohne Wikipedia entstehen, und kaum ein Zeitungsartikel. Erst im März wurde "Spiegel-Online" dabei ertappt, ganze Textpassagen zum Thema Ruanda aus einem Wiki-Eintrag kopiert zu haben, inklusive Kommafehlern.


Keine Frage: Das Nachschlagewerk demonstriert eindrucksvoll das idealistische Potential des Web. Doch genauso eindrucksvoll zeigt Wikipedia die typischen Schwächen eines Do-it-yourself-Projekts: Wenn jeder mitmachen darf, wird alles beliebig.


Oft entwickeln sich Wiki-Einträge zur Spielwiese für Spinner und Eiferer. Der Beitrag zum US-Präsidenten George W. Bush etwa änderte sich während des vorletzten Wahlkampfs zeitweise schneller als dessen Wahlergebnisprognose. Darüber hinaus kämpft das Laien-Lexikon mit Qualitätsproblemen. Wer ein Thema recherchiert, mit dem er sich selbst auskennt, entdeckt meistens Fehler. Und allzu häufig ist Wikipedia nämlich mehr Bröckchenhaus denn Brockhaus.


Die Begeisterung der Hobbyautoren scheint ebenfalls nachzulassen. Zuletzt mußten die Organisatoren sogar Sachpreise für neue Beiträge ausloben. Ob mehr Quantität das richtige Ziel ist? Erfahrene Nutzer jedenfalls meinen, es brauche nicht mehr Autoren, sondern mehr Nutzer.


Artikel erschienen am Don, 4. August 2005